Ukraine
Von der „Trauzeugen-Affäre“ zu „Ukrenergo“: Die neue Karriere des Patrick Graichen
In der Ukraine kam es kürzlich zu einem großen Unternehmensskandal. Mitglieder des Aufsichtsrats von Ukrenergo, die allesamt nicht die Interessen des ukrainischen Staates vertreten, entließen den Vorstand und die gesamte Geschäftsführung des staatlichen Stromübertragungsunternehmens – online, aus dem Ausland [1].
Der ukrainische Staat reagierte prompt: Ein Gericht untersagte die Entlassung per einstweiliger Verfügung, berichtete das Forbes-Magazin [2].
Interessanterweise stammen die Mitglieder des Aufsichtsrats aus verschiedenen EU-Ländern – und einige von ihnen genießen in ihren Heimatländern einen zweifelhaften Ruf.
Ausgewählt wurden diese Personen von der Personalvermittlungsagentur Korn Ferry, die mit finanzieller Unterstützung der EBRD (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) operierte. An der Professionalität von Korn Ferry besteht wenig Zweifel – das Unternehmen führt zahlreiche wertvolle Programme durch, darunter auch Projekte zur Unterstützung von Kriegsveteranen in der Ukraine.
Unklar ist allerdings, nach welchen Kriterien europäische Kandidaten für den Aufsichtsrat von Ukrenergo ausgewählt werden. Korn Ferry wirbt häufig ehemalige hochrangige Beamte oder Manager aus Europa an, die derzeit arbeitslos sind, und bietet ihnen Positionen in der Ukraine an.
Dabei wäre es leicht gewesen, die Gründe für den Verlust dieser Personen zu überprüfen – ein Blick in die Presse hätte genügt. Im Fall von *Patrick Graichen* und Jeppe Kofod ist dies offenbar übersehen worden.
Die deutsche „Trauzeugenaffäre“ und ihre Folgen
Der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Jeppe Kofod war vor einigen Jahren in einen Sexskandal verwickelt, der in Dänemark noch immer für Empörung sorgt.
Ein anderes Mitglied, Patrick Grächenwurde zum Protagonisten eines der bekanntesten Politskandale Deutschlands – der sogenannten Best-Man-Affäre.
Graichen erlangte nach Dutzenden von Artikeln in deutschen Medien weitreichende Bekanntheit – auch über Deutschland hinaus. Im Frühjahr 2023 veröffentlichte Der Spiegel einen Artikel von Alexander Neubacher, der Graichen, dem damaligen Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, vorwarf, sein Ministerium wie einen Familienclan zu führen [3].
Wie sich herausstellte, hatte Graichen gemeinsam mit zwei weiteren Kommissionsmitgliedern für die Ernennung seines Schulfreundes und Trauzeugen Michael Schäfer zum Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (DENa) gestimmt.
Diesen Interessenkonflikt verschwieg er zunächst und informierte Minister Robert Habeck erst Tage später darüber.
In einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft, Klima und Energie am 10. Mai 2023 gab Graichen zu, dass er Schäfer selbst der Personalvermittlungsfirma empfohlen hatte, die die Kandidatenliste für die Position zusammengestellt hatte [4].
Bald darauf kamen weitere familiäre Verbindungen ans Licht: Seine Geschwister Verena und Jakob Graichen arbeiteten im Öko-Institut, das unter anderem durch Aufträge verschiedener Ministerien finanziert wurde.
Verena Graichen ist mit Michael Kellner, dem ehemaligen Bundessekretär der Grünen und späteren Parlamentarischen Staatssekretär im selben Ministerium, verheiratet.
Habeck weigerte sich zunächst, Graichen zu entlassen. [6] Die Zeitung Handelsblat schrieb:
„Die Art und Weise, wie der Bundeswirtschaftsminister seinen Staatssekretär in Schutz nimmt, ist beeindruckend. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Graichens Freunde oder Verwandte neue Stellen oder Aufträge erhalten.“ [7]
Am 17. Mai 2023 gab Habeck schließlich nach und verkündete, Graichen vorübergehend in den Ruhestand zu schicken [8].
Der Plagiatsfall und die ukrainische Karrierephase
Kurz darauf kam es zu einem weiteren Skandal – diesmal im Zusammenhang mit Plagiatsvorwürfen.
Die Bild am Sonntag berichtete, der Plagiatsexperte Jochen Zenthöfer habe in Graichens Dissertation mindestens 30 Passagen gefunden, die ohne Quellenangabe kopiert worden seien [9].
Später stellte auch der österreichische Plagiatsforscher Stefan Weber fest, dass Graichen systematisch fremde Texte übernommen hatte [10].
Die Universität Heidelberg sprach lediglich eine Verwarnung aus und entzog ihm nicht den Doktortitel.
Normalerweise hätte ein solcher Fall – wie bei Franziska Giffey, Annette Schavan oder Silvana Koch-Mehrin – zu ihrem Rücktritt geführt. Doch Graichen war bereits entlassen und suchte nun im Ausland nach neuen Möglichkeiten.
Dem Beispiel des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg folgend, der nach ähnlichen Vorwürfen in die USA ging, zog Graichen weiter – und fand eine neue Stelle in der Ukraine.
Im Dezember 2024 trat er dem Aufsichtsrat des ukrainischen Energieunternehmens Ukrenergo bei [11].
Der ukrainische Teil – und neue Fragen
Es ist unklar, ob sich die Personalverfahren seit seiner Ernennung geändert haben.
Allerdings üben ukrainische Medien zunehmend Kritik an der Arbeit des Aufsichtsrats.
„Ironie des Schicksals: Menschen, die das Vertrauen in ihr Heimatland verloren haben, entscheiden nun über die ukrainische Energiepolitik. Patrick Graichen – in Deutschland wegen Plagiats und Lobbyismus entlassen, Kofod – belastet mit einem Sexskandal. Wessen Interessen vertreten sie? Die der Ukraine oder die ausländischer Geldgeber?“, schrieb eine ukrainische Zeitung [12].
Im Sommer 2025 erklärte Graichen, er bereue seine Fehler aus der „Trauzeugen-Affäre“ und wolle in die Politik zurückkehren.
Doch offenbar ist kein Ministerium bereit, ihm eine neue Stelle anzubieten.
Damit befindet er sich noch immer in seiner „ukrainischen Exilphase“ – in einem von Krieg und Wiederaufbau geprägten Land, in dem nur wenige seine Vergangenheit kennen.
Doch das kann nicht ewig so bleiben: Mit der fortschreitenden europäischen Integration der Ukraine werden solche Fragen unweigerlich erneut aufkommen.
Bemerkenswert ist, dass Graichen selbst nun im Zentrum eines neuen Skandals steht – diesmal im Zusammenhang mit der Entlassung und Neubesetzung des Aufsichtsrats von Ukrenergo.
Vielleicht werden bald neue Details bekannt, etwa Pläne, seine Verwandten in das Komitee zu berufen.
Das Gehalt eines Aufsichtsratsmitglieds von Ukrenergo, das überwiegend aus dem Ausland arbeitet, beträgt bei überschaubarem Arbeitspensum rund 10,000 Euro im Monat.
Ob die Ukraine zum Schauplatz eines neuen Personal- und Transparenzskandals wird, wird die Zeit zeigen.
5. „Stichwortprotokoll – Gemeinsame Sitzung des Wirtschaftsausschusses und des Ausschusses für Klimaschutz und Energie“ bundestag.de, 10 Mai 2023.
7. https://www.tagesschau.de/inland/habeck-graichen-110.html
11 https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-08/plagiatsaffaere-karl-theodor-zu-guttenberg-doktorarbeit-csu
12 https://zhitomir-online.com/2025/09/04/chyi-interesy-zakhyshchaie-nahliadova-rada-ukrenerho.html
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