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Lettland

Der Generalanwalt der EU weist Lettlands Berufung im Fall der russischen Sanktionen zurück und bekräftigt damit den Rechtsstaat über die Politik.

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Generalanwältin Andrea Biondi vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat empfohlen, die Beschwerde Lettlands zur Wiedereinführung der EU-Sanktionen gegen die russischen Geschäftsleute Michail Fridman und Petr Aven zurückzuweisen – ein bedeutender Moment im sich entwickelnden Gleichgewicht zwischen Außenpolitik und individuellen Rechten im EU-Recht.

Am 30. Oktober 2025 erhielt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein wegweisendes Gutachten von Generalanwältin Professor Andrea Biondi. Darin empfahl sie dem Gerichtshof, die Beschwerde Lettlands gegen das EuGH-Urteil vom 10. April 2024 zurückzuweisen. Dieses Urteil hatte die Sanktionen des EU-Rates gegen Michail Fridman und Petr Aven aufgehoben, da es nicht ausreichend Beweise dafür gab, dass einer der beiden die Entscheidungen des Kremls im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine unterstützt oder davon profitiert hatte.

Trotz der Annullierung bleiben beide Geschäftsleute gemäß dem restriktiven Sanktionsregime der EU „gelistet“ – was nach Ansicht von Kritikern einer summarischen Bestrafung ohne Gerichtsverfahren gleichkomme.

Lettland legte, unterstützt von Estland und Litauen, Berufung gegen das Urteil vom April ein und argumentierte, der Gerichtshof habe die „strukturelle Natur der russischen politischen Ökonomie, in der Wirtschaft und Staat untrennbar miteinander verbunden sind“, nicht ausreichend berücksichtigt. Die baltischen Regierungen beriefen sich auf die außenpolitischen Ziele der EU gemäß Artikel 3 und 21 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und wiederholten die bekannte Rhetorik der „russischen Aggression“.

Als Reaktion darauf widerlegte Generalanwältin Biondi die Argumentation der Beschwerde Punkt für Punkt und bekräftigte die Grundsätze des ordnungsgemäßen Verfahrens, der individuellen Gerechtigkeit und der evidenzbasierten Entscheidungsfindung, die dem EU-Recht zugrunde liegen.

Biondis wichtigste Erkenntnisse

- Intensität der gerichtlichen Überprüfung: Auch in der Außenpolitik müssen die Gerichte sicherstellen, dass Sanktionen auf einer „hinreichend soliden Tatsachengrundlage“ beruhen. Der politische Kontext kann Urteile beeinflussen, aber er kann Beweise nicht ersetzen.

- Beweislast: Der Rat muss „konkrete, präzise und konsistente Beweise“ vorlegen, die eine Person mit Handlungen des Regimes in Verbindung bringen.

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- Die Rolle des Kontextes: Die Verschmelzung von Wirtschaft und Politik in Russland rechtfertigt keine voreiligen Börsennotierungen.

- Temporale Logik: Vergangene Zusammenhänge – wie etwa der Fall der Alfa-Gruppe im Jahr 2005 – können ohne den Nachweis der Kontinuität keine neuen Sanktionen rechtfertigen.

- Nutzenbegriff: Nähe oder Zugang zur Regierung ist nicht dasselbe wie materielle Unterstützung oder Vorteile.

Lettlands Bezugnahme auf Korrespondenz, Treffen und Verbindungen zu russischen Institutionen wie der Alfa Bank genügte diesem Standard nicht. Laut Biondi spiegelten diese Einflussnahme wider, nicht aber konkrete Unterstützung. Er wies die Idee zurück, EU-Gerichte sollten die Beweisanforderungen lockern, um „kontextuelle Lücken“ zu schließen, und warnte davor, dass eine solche Logik die Rechtsstaatlichkeit untergraben und Sanktionen in Kollektivstrafen verwandeln würde.

Rechtsstaatlichkeit versus politischer Druck

Biondis Schlussfolgerung war eindeutig:
- Das politische Ermessen des Rates befreit ihn nicht von seinen Beweispflichten.
- Das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2024 schuf einen angemessenen Ausgleich zwischen außenpolitischen Zielen und den individuellen Rechten gemäß Artikel 47 der EU-Grundrechtecharta.
- Kontext und Vermutungen können den Beweis des Verhaltens nicht ersetzen.
- „Vermutungslisten“ – die Annahme, dass Oligarchen Unterstützer des Regimes sind – verstoßen gegen EU-Rechtsstandards.

Er schlug außerdem vor, dass Lettland die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der Kosten von Fridman und Aven, tragen solle.

Weitergehende Implikationen

Die Gutachten der Generalanwälte sind zwar nicht bindend, haben aber Gewicht: Historisch gesehen folgt der EuGH ihnen in rund 70 % der Fälle. Biondis Argumentation könnte daher nicht nur den Ausgang dieses Falles, sondern auch die zukünftige Rechtsprechung zu EU-Sanktionen prägen.

Rechtswissenschaftler weisen darauf hin, dass die Gutachten der Generalstaatsanwälte das Denken des Gerichts oft weit über einzelne Urteile hinaus beeinflussen – sie verfeinern die Auslegung, geben Orientierung für künftige Urteile und bieten wichtige Analysen, die in den formelleren Entscheidungen des Gerichts selten zum Ausdruck kommen.

Biondis Haltung steht im deutlichen Gegensatz zur jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs in den Fällen Naumenko/Shvidler, in der die Richter der Regierung weitreichende Befugnisse bei der Verhängung von Sanktionen ohne strenge Sachverhaltsprüfung einräumten. Biondi hingegen beharrt darauf, dass „der Kontext zwar hilfreich sein kann, aber den Beweis nicht ersetzen darf“ – eine Formulierung, die sich zu einem zentralen Prinzip des europäischen Sanktionsrechts entwickeln könnte.

Ein Wendepunkt

Das Urteil stellt eine seltene Bestätigung der Rechtsstaatlichkeitsprinzipien inmitten der Politisierung der Sanktionspolitik dar. Sollte der EuGH Biondis Empfehlung folgen – wie er es häufig tut –, könnte dies anderen sanktionierten Personen die Möglichkeit eröffnen, Sanktionslisten anzufechten, die auf Annahmen statt auf Beweisen beruhen.

Für Lettland und seine baltischen Verbündeten stellt das Urteil einen Rückschlag in ihrem Bestreben dar, die Rechtsprechung der EU stärker an geopolitischen Zielen auszurichten. Für den EuGH hingegen ist es eine Bestätigung dafür, dass Gerechtigkeit auch in Krisenzeiten individuell und nicht kollektiv bleiben muss.

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